Der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand und Opfervertreter
Lisa-Maria Dolzer, Juni 2023
Die umfassende Vertretungsfunktion des Rechtsanwalts im Strafverfahren besteht nicht nur für Beschuldigte. Neben dem Recht, als Zeuge anwaltlichen Bestand beizuziehen gibt es die Möglichkeit, sich als Opfer anwaltlich vertreten zu lassen. Im Nachfolgenden wird die Rolle des Rechtsanwalts als Zeugen- und Opferbeistand dargelegt.
Der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand
Das Recht eines Zeugen, sich bei seiner polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren oder bei der Hauptverhandlung vertreten zu lassen, ergibt sich aus § 160 Abs 2 StPO. Demnach ist ein Zeuge berechtigt auf sein Verlangen hin eine von ihm gewählte Vertrauensperson seiner Vernehmung beizuziehen. Dies kann auch ein Rechtsanwalt sein. Voraussetzung dafür ist, dass der beigezogene Rechtsanwalt in keiner sonstigen Weise an dem gegenständlichen Strafverfahren beteiligt ist.
Die Beiziehung einer Vertrauensperson zu einer Zeugenvernehmung ist in ausgewählten Fällen sogar verpflichtend: § 160 Abs 3 StPO normiert dies für Zeugen, die an einer psychischen Erkrankung leiden oder in ihrer Entscheidungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sind, sowie Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Die Funktion des Rechtsanwalts im Zuge der Vernehmung ist – neben der Wahrung der Zeugenrechte – die umfassende Vorbereitung des Zeugen auf die für diesen meist außergewöhnliche und stressbeladene Vernehmungssituation. Den relevantesten Punkt bildet hierbei die saubere Aufarbeitung des Sachverhalts und die Informationsgewinnung. Zudem fungiert der Rechtsanwalt gerade bei Zeugenaussagen zu sensiblen Themen nicht nur als rechtliche, sondern auch als psychische Stütze.
Im Vorfeld der Vernehmung ist der Zeuge durch seinen anwaltlichen Beistand auch über seine Pflichten aufzuklären. Diese umfassen neben der Erscheinungspflicht auch die wahrheitsgemäße Aussagepflicht – sofern kein Aussagebefreiungsrecht gem § 156 Abs 1 StPO oder ein Aussageverweigerungs-recht des gefährdeten Zeugen gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO vorliegt. Eine hinreichende Aufklärung über die Pflichten ist schon aufgrund der Sanktionen bei Missachtung dieser Pflichten (bspw Geldstrafen oder Freiheitsstrafen als Beugemittel bei Verletzung der Aussagepflicht) erforderlich.
Der Rechtsanwalt aufgrund hat das Recht die gesamte Vernehmungsdauer hindurch bei der Vernehmung anwesend zu sein. Dies gilt auch für die Hauptverhandlung, in welcher er außerhalb der Zeugenaussage des Mandanten gemäß des Öffentlichkeitsgrundsatzes nach § 12 Abs 1 StPO als Teil der Öffentlichkeit gilt und somit dem Verfahren – anders als sein Mandant als Zeuge – durchgehend beiwohnen darf. Der Vertretungsspielraum des Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung ist jedoch beschränkt. So ist es ihm im Zuge der Vernehmung seines Mandanten nicht erlaubt, auf den Inhalt seiner Zeugenaussage einzuwirken, weshalb sich sein Handlungsspielraum auf das Beanstandungs-recht bezüglich Verfahrensabläufen, die nicht konform mit der StPO sind, beschränkt.
Der Rechtsanwalt als Opfervertreter
Ausgehend von den Bemühungen des Gesetzgebers, die Opferrechte iSd StPO weiter zu festigen, bietet die Institution der anwaltlichen Opfervertretung eine weitreichendere Einwirkungsmöglichkeit des Rechtsanwalts auf das Verfahren bezüglich der Geltendmachung von Opfer- bzw Privatbeteiligtenrechten.
Als Opfer ist ex lege gemäß § 65 StPO zu betrachten:
• jede Person, die durch eine vorsätzlich begangene Straftat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt, in ihrer sexuellen Integrität und Selbstbestimmung beeinträchtigt oder deren persönliche Abhängigkeit durch eine solche Straftat ausgenützt worden sein könnte,
• der Ehegatte, der eingetragene Partner, der Lebensgefährte, die Verwandten in gerader Linie, der Bruder oder die Schwester und sonstige Unterhaltsberechtigte einer Person, deren Tod durch eine Straftat herbeigeführt worden sein könnte, oder andere Angehörige, die Zeugen der Tat waren,
• jede andere Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten haben oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein könnte.
Opfern stehen ex lege iSd § 66 StPO folgende Rechte zu:
• Beteiligung am Strafverfahren (§ 10 StPO)
• Vertretung (§ 73 StPO)
• Schriftliche Bestätigung der Anzeige (§ 80 StPO)
• Ehestmögliche Beurteilung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit (§ 66a StPO)
• Akteneinsicht ( § 68 StPO)
• Information (§ 70 Abs 1 StPO)
• Verständigung über den Fortgang des Strafverfahrens (§§ 177 Abs 5, 194, 197 Abs 3, 206 und 208 Abs 3 StPO)
• Übersetzungshilfe (§ 56 StPO)
• Teilnahme an einer kontradiktorischen Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten (§ 165 StPO) und an einer Tatrekonstruktion ( § 150 Abs 1 StPO)
• Anwesenheit in der Hauptverhandlung und Befragung von Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen sowie Anhörung zu ihren Ansprüchen
• Die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungsverfahrens zu ver-langen (§ 195 Abs 1 StPO)
Dem Rechtsanwalt obliegt gemäß § 73 StPO die Wahrung der oben genannten Opferrechte im Ermittlungsverfahren sowie in der Hauptverhandlung. Daneben sind können auch Opferschutzeinrichtungen und sonstige geeignete Personen, wie Notare oder ehemalige Rechtsanwälte, mit der Opfervertretung beauftragt werden. Grundsätzlich sind alle Rechtshandlungen, die ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten als Opfer im Zuge des Verfahrens tätigt, auch dem Mandanten zuzurechnen.
Daneben ist Privatbeteiligter „jedes Opfer, das erklärt, sich am Verfahren zu beteiligen, um Ersatz für den erlittenen Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung zu begehren.“ Dieses Recht kann durch den Rechtsvertreter iSd § 73 StPO im Wege einer Erklärung, sich am Strafverfahren anschließen zu wollen, erzielt werden. In dieser Anschlusserklärung hat das Opfer als Privatbeteiligter mittels Begründung darzulegen, welche Schadenersatz- und Entschädigungsansprüche es geltend macht und weshalb es berechtigt ist, am Strafverfahren mitzuwirken.
Das Gericht hat bei einer zur Kenntnis genommenen Anschlusserklärung neben der strafrechtlichen Urteilsfindung auch über die zivilrechtlichen Ansprüche des Privatbeteiligten zu entscheiden. Wird der Beschuldigte freigesprochen oder unterlässt das Gericht eine Entscheidung über die Ansprüche des Privatbeteiligten, sind die geltend gemachten Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg zu erstreiten (siehe auch Artikel Privatbeteiligtenanschluss – Wie komme ich als Geschädigte/r zu Schadenersatz?).
Der rechtliche Beistand im Zuge einer Zeugenvernehmung oder die anwaltliche Opfervertretung können die Basis für die erfolgreiche Erledigung der Angelegenheit bilden und im Vorfeld Unklarheiten und Unsicherheiten aus dem Weg räumen. Die Juristinnen und Juristen unserer Kanzlei stehen Ihnen mit der Beantwortung von Fragen in diesem Zusammenhang oder ganz allgemein zum Strafrecht gerne zur Verfügung.
Quelle: Wess in Kier/Wess, Handbuch Strafverteidigung² Kap 28.