Unternehmens-
strafrecht & Verteidigung von Unternehmen

Selin Celikel, Juni 2023

Straftaten, die im Unternehmensbereich (sog. Unternehmenskriminalität) begangen werden, erfolgen meist durch das Zusammenspiel mehrerer Mitarbeiter in unterschiedlichen Ebenen und oftmals über eine längere Zeitspanne hinweg, wodurch eine schwierige Beweislage entstehen kann. Durch das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) im Jahre 2006 kam es zu einer Umgestaltung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von juristischen Personen sowie Personengesellschaften in Österreich, wobei diese nicht bestraft, sondern mit einer (Verbands-)Geldbuße sanktioniert werden. Dabei wird das Handeln der Entscheidungsträger oder der Mitarbeiter dem Unternehmen zugerechnet, da der Verband ausschließlich im Zuge seiner Entscheidungsträger handeln kann.

Verfahrensvorschriften

Grundsätzlich finden die allgemeinen Bestimmungen über das Strafverfahren Anwendung, sofern diese nicht ausnahmslos für natürliche Personen bestimmt sind (§ 14 Abs 1 VbVG). Dabei sind zusätzlich die Spezialregelungen §§ 13 bis 27 VbVG zu beachten. Die zuständigen Ermittlungsbehörden wer-den nach jener Zuständigkeit bestimmt, welche für die verdächtige natürliche Person einschlägig wäre. Außerdem sind das Ermittlungs- sowie Hauptverfahren von Individualbeschuldigten und Verbänden zusammen zu führen. Demnach ist auch bei einer etwaigen Anmeldung eines Rechtsmittels genau anzugeben, ob dieses gegen das Urteil hinsichtlich der natürlichen Person oder des Verbandes gerichtet ist. Ansonsten ist davon auszugehen, dass das Gericht dieses Rechtmittel zurückweist. Bei einem getrennt geführten Verfahren, verfügt das Unternehmen über die Rechte des Beschuldigten. Des Weiteren muss in einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen die Zustellung einer Ladung und Vernehmung aller Entscheidungsträger sowie aller verdächtigen Beschäftigten als Beschuldigte durchgeführt werden. Dabei haben diese jedoch ein Recht zu schweigen und sind an keine Wahrheitspflicht gebunden. Personen, die nach außen vertretungsbefugt sind, haben auch die Vertretung des Verbandes im Strafverfahren zu übernehmen. Im Falle von (sämtlichen) tatverdächtigen Vertretungsbefugten, muss dem Unternehmen verpflichtend ein Verteidiger als Kollisionskurator beigegeben werden. Der Kollisionskurator muss sohin die ordnungsgemäße Vertretung des Verbandes durchführen.

Spezielle Verteidigungskonstellationen

Besonders von Vorteil für das Unternehmen kann sein, dass Entscheidungsträger des Verbandes – auch ohne Anfangsverdacht – ein Schweigerecht im Verfahren genießen. Somit kann der Entscheidungsträger grds iRd Unternehmensinteressen entscheiden, ob eine Aussage getätigt werden soll oder nicht. Ein solches Recht steht einem Individualbeschuldigten dagegen nicht zu. Hinsichtlich einer Verfahrenseinleitung kommt der Staatsanwaltschaft ein Ermessen gem § 18 VbVG zu. Es kann jedoch von einer Verfolgung und einer etwaigen Sanktionsmaßnahme Abstand genommen oder zurückgetreten werden, wenn ein positives Nachtatverhalten des Verbandes eine solche Vorgehensweise rechtfertigt. Auch die Diversion gemäß § 19 VbVG ist – gegenüber jener von natürlichen Personen – etwas „lockerer“ gestaltet, da eine schwere Schuld hierbei nicht als Ausschließungsgrund gewertet wird. Hinsichtlich der tätigen Reue, kann ein Verband bei aktivem Reueverhalten bzw einer Wiedergutmachung des Schadens nach § 167 StGB, die Strafbarkeit der Tat ggf gänzlich oder teilweise aufheben, weshalb dieser Regelung in der Praxis eine besondere Achtung geschenkt werden sollte.

 

Verbandsverteidigung

Eine präventive Rechtsberatung, vor allem bevor ein Strafverfahren anhängig wird, ist grds zu empfehlen, da vor allem in der Praxis das Nachtatverhalten des Verbandes eine bedeutende Rolle spielt. Somit können durch eine vorzeitige Untersuchung der strafrechtlichen Risikopotentiale und durch die rechtzeitige Durchführung tragbarer Maßnahmen im besten Fall ein mögliches Ermittlungsverfahren und/oder einen Gerichtsprozess verhindert werden. Eine Präventivberatung sollte weiters die anwaltlichen Beistandsleistungen einschließlich der Verpflichtungen zur Information, Aufklärung, Prävention sowie Vorwarnung beinhalten. Dabei übernimmt der Anwalt jedoch ausschließlich die Rolle der rechtlichen Beratung und nicht jene des Kurators des Unternehmens.

Tipps für die Praxis

Im Ernstfall sollte das Unternehmen klare festgelegte Handlungsschritte unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Gesichtspunkte des Strafverfahrens verfolgen. Durch vorzeitige rechtliche Einschätzungen sollten strafrechtlich bedenkliche Verhaltensweisen ermittelt und wirksame Maßnahmen dagegen getroffen werden. Vor allem Fehler und Ungeschicklichkeiten im Ermittlungsverfahren hinsichtlich der Selbstdarstellung können in der Hauptverhandlung negative Folgen haben. Daher ist es ratsam, bereits im Ermittlungsverfahren aktiv einzuschreiten und Rechte des Unternehmens geltend zu machen – zB durch Beweisanträge. Dabei kann der Verteidiger des Verbandes grds Eigenermittlungen tätigen bzw Untersuchungen durch dritte Personen anstellen lassen. Ein (allseits) bedeutsamer Aspekt in der Rechtsberatung bleibt jedoch stets die zügige und fachliche Reaktion sowie zweckmäßige – vorzeitige – Verteidigung des Unternehmens.

Quelle:
Soyer in Kier/Wess (Hrsg), Handbuch Strafverteidigung

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