Mag. Isabel Fuchs, Februar 2024

Pflegevermächtnis

Pflegebedürftige Menschen werden häufig von nahestehenden Personen umsorgt. In der Praxis wird die Abgeltung der erbrachten Pflegeleistungen von Angehörigen vor dem Tod des Erblassers oftmals nicht vereinbart. In diesem Fall kommt das gesetzliche Pflegevermächtnis iSd § 677 ABGB zur Geltung, wodurch unter bestimmten Voraussetzungen die erbrachten Pflegeleistungen belohnt werden. Das gesetzliche Pflegevermächtnis gebührt zusätzlich zum Pflichtteil bzw anderen Leistungen aus der Verlassen-schaft, wobei der Erblasser eine Anrechnung anordnen kann.

Beispiel

Die Tochter pflegt ihre Mutter, welche schließlich verstirbt. Der Bruder kümmerte sich hingegen nicht.

Eine Abgeltung zugunsten der Tochter wurde nicht vereinbart. Gebührt dieser nun ein gesetzliches Pfle-gevermächtnis iSd § 677 ABGB?

 

 

 

Voraussetzungen

  • 677 Abs 1 ABGB honoriert eine nicht bloß geringfügige Pflegetätigkeit, wobei ein Maßstab von mindestens 20 geleisteten Stunden im Monat anzunehmen ist. Zudem muss die Pflege während der letzten 3 Jahre vor dem Tod des Erblassers geringstenfalls über sechs Monate erfolgt sein.

Als Ausnahmetatbestand wird die Vereinbarung von (letztwilligen) Zuwendungen oder Entgelten an den Berechtigten normiert. Dies vor dem Hintergrund der Vermeidung einer „Doppelentlohnung“. Die Höhe der Zuwendung bzw des Entgelts muss jener des gesetzlichen Pflegevermächtnisses entsprechen. Widrigenfalls ist eine Differenz aufzuzahlen.

Die Art der Pflegetätigkeit iSd § 677 Abs 2 ABGB muss keiner professionellen Krankenpflege entsprechen, Betreuung und Hilfe reichen aus. Die Pflegeleistung kann sowohl das physische als auch das psychische Wohlergehen umfassen. Die Erbringung der Pflege im Rahmen einer familienrechtlichen Beistandspflicht, etwa durch einen Ehegatten, berührt den Anspruch auf ein gesetzliches Pflegevermächtnis nicht.

Der Gesetzgeber spricht iSd § 677 Abs 3 ABGB „einer dem Verstorbenen nahe stehenden Person“ den Anspruch auf ein gesetzliches Pflegevermächtnis zu. Neben der Familie (etwa gesetzliche Erben) sind auch Partner bzw Lebensgefährten sowie dessen Kinder erfasst.

Der Anspruch auf ein gesetzliches Pflegevermächtnis ist im Verlassenschaftsverfahren mittels Antrag geltend zu machen. Primär wird eine einvernehmliche Lösung angestrebt. Die Höhe des gesetzlichen Pflegevermächtnisses beansprucht oftmals einen wesentlichen Teil der Verlassenschaft, wodurch eine einvernehmliche Lösung in der Praxis unter Umständen nicht erreicht werden kann. Als Alternative besteht die Möglichkeit einer Klage gegen die Verlassenschaft bzw nach Einantwortung gegen die Erben.

 

Das gesetzliche Pflegevermächtnis ist nicht vom Willen des Erblassers abhängig. Es kann nur entzogen werden, wenn ein gesetzlicher Enterbungsgrund iSd § 770 ABGB vorliegt.

Zusammenfassung

Die Kanzlei Dr. Leitinger & Dr. Leitinger Rechtsanwälte OG steht zur Beratung von erbrechtlichen Angelegenheiten bzw zu Fragen rund um das Pflegevermächtnis gerne zur Verfügung.

 

Quelle:

Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht7 (2022).

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