Lisa-Maria Dolzer, Februar 2023
Kampf gegen Obsorgeentziehung
Eine nicht nur rechtlich besonders heikle Thematik ist jene der Obsorgeentziehung.
Grundsätzlich versteht man unter der Obsorge neben der rechtlichen Vertretung nach außen und der Vermögensverwaltung auch die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes. Bei ehelichen minderjährigen Kindern wird die Obsorge von beiden Elternteilen ausgeübt, wohingegen im Falle eines unehelichen Kindes die Mutter allein sorgeberechtigt ist. Eine Vereinbarung, wonach beide Elternteile mit der Obsorge betraut sind, kann jedoch vor dem Standesamt oder gerichtlich geschlossen werden. Kommen die Eltern ihren Verpflichtungen aus der Obsorge nicht mehr nach und folgt daraus die Gefährdung des Kindeswohls, hat das Gericht in Zusammenspiel mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) zur Abwendung dieser Gefährdung die Möglichkeit, dem/n jeweiligen Obsor-geberechtigte/n die Obsorge zu entziehen.
Rechtliche Grundlagen
Die Rechtsgrundlage für die Obsorgeentziehung findet sich in § 181 ABGB. Gemäß § 181 Absatz 1 All-gemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) kann das Gericht die Obsorge ganz oder teilweise entziehen, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährden. Von einer Kindeswohlgefährdung ist immer dann auszugehen, wenn die Obsorgeberechtigten ihren Pflichten nicht nachkommen oder diese gröblich vernachlässigen und dadurch schutzwürdige Interessen des Kindes, wie die soziale Integration oder die psychische und physische Gesundheit beeinträchtigen.
Ist Gefahr in Verzug, erhält der KJHT mit § 211 ABGB die Erlaubnis, die Obsorge des betroffenen Kindes vorerst ohne gerichtliche Zustimmung an sich zu übertragen. Eine Zustimmung des Gerichts ist mittels Antrages binnen acht Tagen ab Setzung der Sofortmaßnahme durch den KJHT einzuholen. Eine derartige Sofortmaßnahme muss jedenfalls verhältnismäßig sein und eine konkrete Kindeswohlgefährdung, die sofort abzuwenden ist, muss jedenfalls vorliegen.
Generell darf die Obsorgeentziehung nur das letzte Mittel der Wahl sein (ultima ratio). Vor diesem Schritt muss das Gericht alle Möglichkeiten überprüfen, die die Belassung des Kindes in der Familie ermöglichen und dem Kindeswohl entsprechen. Nach den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 107 Absatz 3 Außerstreitgesetz (AußStrG), kann das Gericht den Erziehungsberechtigten zur Sicherung des Kindeswohls gewisse Maßnahmen auferlegen, welche jedoch stets verhältnismäßig sein müssen und die Familienautonomie gemäß Artikel 8 der (Europäischen) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht untergraben dürfen. Dazu zählt etwa der zwingende Besuch einer Eltern-Kind-Beratung oder die Teilnahme an einer Schulung und Beratung zum Umgang mit Gewalt.
Das Gericht darf die Obsorge nur insoweit einschränken, als dies zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist.
Tatsachengrundlage
Das Gericht muss sich bei der Überprüfung, ob den Obsorgeberechtigten im konkreten Fall die Obsorge zu entziehen ist, auf eine sorgfältig erhobene Tatsachengrundlage stützen.
Aus dieser soll sodann die aktuelle Gefährdung des Kindeswohls hervorgehen. Um dem strengen Maßstab gerecht zu werden, hat sich das Gericht – vor dem Hintergrund, dass Obsorgeentscheidungen stets für die Zukunft entschieden werden – auf die aktuellste und bis in die jüngste Gegenwart reichende Tatsachengrundlage zu stützen.
Dies bedeutet, dass selbst dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung einschlägige Neuerungen im Verfahren nicht mehr berücksichtigen konnte, diese dennoch beachtlich sind.
Kommt es im Anschluss einer erstgerichtlichen Entscheidung etwa zu einem Rechtsmittelverfahren, hat das Rechtsmittelgericht daher dem Erstgericht eine Ergänzung der nicht ausreichend erhobenen Tatsachengrundlage aufzutragen. Entscheidungen über die Entziehung der Obsorge, die sich etwa auf ein veraltetes Gutachten stützen, sind daher als problematisch zu beurteilen.
Ãœbertragung der Obsorge an Dritte
§ 178 ABGB normiert, wer im Falle der Verhinderung des Obsorgeberechtigten (oder der Obsorgeent-ziehung) mit deren Pflichten betraut werden darf.
Ist der allein obsorgeberechtigte Elternteil verhindert, kann die Obsorge auf den anderen, nicht verhinderten Elternteil übertragen werden. Dabei können von den Eltern keine Vorvereinbarungen für den Fall der Verhinderung getroffen werden. Derartige Vereinbarungen gelten lediglich als Wünsche an das Gericht im Sinne des § 205 ABGB und können als solche in die Entscheidung des Gerichts einfließen. Ist der andere Elternteil verhindert und kann nicht mit der Obsorge betraut werden, ist die Obsorge alternativ den Großeltern oder Pflegeeltern zu übertragen.
Eine derartige Entscheidung ist im Einzelfall zu treffen und muss immer unter der Berücksichtigung des Kindeswohles getroffen werden.
Wir beraten und vertreten Sie gerne zu diesen wichtigen Fragen. Unsere Kanzlei konnte in Obsorgerechtssachen schon erfolgreiche Ergebnisse erwirken. Für weiterführende Informationen stehen wir Ihnen gerne beratend zur Verfügung.
Quellen:
Weizenböck in Schwiman/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar, § 181 (Stand April 2020, Lexis Briefings in lexis360.at)
Huber, Familienrecht – Kindschaftsrecht, Obsorge (Stand November 2022, Lexis Briefings in le-xis360.at)
Huber, Familienrecht – Kindschaftsrecht, Obsorgeentziehung (Stand November 2022, Lexis Briefings in lexis360.at)
Weizenböck in Schwiman/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar, § 211 (Stand April 2020, Lexis Briefings in lexis360.at)
Weizenböck in Schwiman/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar, § 178 (Stand April 2020, Lexis Briefings in lexis360.at)
OGH, 29.06.2022, 7 Ob 67/22m
OGH, 28.01.2020, 4 Ob 216/19x
OGH, 08.011.2011, 3 Ob 155/11g